Dass die Tolkien-Linguistik ihre Aussagen auf sehr wenig Material basiert, ist nicht ungewöhnlich. Beispielsweise das Wissen über die in Mittelerde verwendeten Zahlzeichen beruht auf einer einzigen Quelle aus zweiter Hand, die überdies der einzigen belegten Verwendung von Ziffern widerspricht. Oder das Tehta für "y" im Sindarin ist nur an einer einzigen Stelle belegt. Auf dem Gebiet der Sprachen Tolkiens gibt es wohl ähnliche Beispiele. Ich halte das für einen fragwürdigen Grund, um eine These damit abzulehnen, denn mit dieser Haltung liessen sich wohl die meisten Thesen der Tolkien-Linguistik ablehnen.Thorsten wrote:Was du als Ergebnis von Tolkien-Linguistik bezeichnest ist deine vage Vermutung (basierend auf sehr wenig Material) dass Tolkien tatsaechlich die Unterscheidung machen wollte dass Elben (immer? typischerweise?) im Beleriandmodus schreiben und Menschen (immer? typischerweise?) in einem Tehtar-Modus. Die ich nach meiner Kenntnis der Beweislage nicht teile
Dass eine Hochprestige-Kultursprache wie das Sindarin mit einer jahrtausendealten schriftlichen Überlieferung in zwei verschiedenen Schreibungen vorkommt (und zwar in derselben Schaffensphase Tolkiens), das ist extrem erklärungsbedürftig. Vergleichbare Fälle wären das Sanskrit, das in den verschiedenen Schriften der jeweiligen regionalen Sprachen geschrieben wird, was aber daran liegt, dass die Sanskrit-Überlieferung erst im Nachhinein verschriftlicht wurde, oder vielleicht die jüdische Verwendung des hebräischen Alphabets für die ortsüblichen Umgangssprachen, die sonst mit anderen Schriften geschrieben werden, was aber am engen Zusammenhang zwischen Schriftreligion und Schrift liegt.
Wo Tolkien die Schreibung des Sindarin beschrieben hat, hat er die beleriandische Schreibung beschrieben, ausser in DTS 58, wo er die beleriandische Schreibung die antike Schreibung wie auf den Toren Morias nennt, aber anfügt, Sindarin könne, genauso wie Quenya, auch in dem Ende des dritten Zeitalters üblichen allgemeinen Modus geschrieben werden. Es gibt zwei derartige des allgemeinen Modus, die sich in Tolkiens Welt verorten lassen, nämlich der Königsbrief DTS 49 und der Quenya-Spruch hinter dem Thron Gondors in DTS 38. Beide verweisen auf Gondor.
Die beleriandische Schreibweise geht wohl auf Beleriand zurück. Dies und ihre Verwendung auf dem Moriator zeigt, dass sie wohl von den Noldor im ersten Zeitalter erfunden wurde. Dazu passt auch, dass nach Meinung der noldorischen Gelehrten eine Ómatehtarschreibung dem Sindarin nicht angemessen sei.
Deine implizite These ist nun, der allgemeine Modus sei genauso elbisch wie die beleriandische Schreibweise, da du annimmst, die elbische Verwendung des allgemeinen Modus sei einfach zufälligerweise nicht belegt. Was sind nun die Konsequenzen deiner These? Sie bedingt entweder, dass es fürs Sindarin seit jeher zwei verschiedene Rechtschreibungen gegeben habe, oder aber dass die Elben im Verlauf des dritten Zeitalters eine radikale Rechtschreibreform durchgeführt haben. Ersteres halte ich für unwahrscheinlich, denn ich sehe keinen Grund zur Annahme, dass die Sprachen Mittelerdes sich in dieser Hinsicht von den Sprachen auf unserer Erde unterscheiden sollten, letzteres halte ich für unwahrscheinlich, da ich mir Elben nicht als grosse Freunde von Rechtschreibreformen vorstellen kann. Ich lehne also deine These ab, weil ich sie nicht nur für unbelegt halte, sondern auch für unwahrscheinlich.
Meine These, dass der allgemeine Modus typisch für Gondor sei, stützt sich nicht nur auf die Fakten, sondern erlaubt auch eine Erklärung für das unerhörte Nebeneinander zweier verschiedener Schreibungen von Sindarin und Quenya.