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Beleriandische Tengwar (PE22)

Posted: Mon Sep 07 2015 17:19
by Lothenon
In PE22 finden wir eine mehrseitige Beschreibung der typischen Tengwar-Schreibweise für Beleriandisches Noldorin - sehr ausführlich und in historischem Kontext, also wie sie von der Alt-Noldorin-Schreibweise abstammt (und diese von Quenya-Modi), und in welcher Weise sie sich auch in Beleriand weiter entwickelte.
Kurz gesagt: Es handelt sich hierbei meines Erachtens um nichts weiteres als den "Beleriand Mode" des Sindarin, wie wir ihn aus späteren Quellen kennen - nur weit detaillierter und all unsere Wissenslücken füllend. Wenige Aspekte erscheinen auf den ersten Blick anders, decken sich aber bei näherer Betrachtung doch durchaus mit dem bisherigen Wissensstand.
Hier eine Übersicht:
Zunächst einmal haben wir Namen für alle Tengwar. Hierbei handelt es sich meist nicht um N/S-Wörter, sondern um phonetische Namen wie etwa im Deutschen (dtsch. /ka:/ = S. /ki:/).
Nach der Reihenfolge der bekannten Tabelle in Appendix E (und in normalisierter Schreibung) lauten die Namen der

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GRUNDBUCHSTABEN
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tau, pui, cí, cú
dau, bui, gí, gú/gwae
thau, fui, achau/acho, chwae
adhau/adho, avui, aghau/au-veleg, awae-veleg
andau/anno, ambui/ammui, engi, angwae
nau, mui, odew, awae(-dithen)


Woraus zunächst bereits hervorgeht, dass Spalte IV tatsächlich für eine kw-Reihe steht. Anhand von wilya (awae(-dithen)) für /w/ war das schon jeher meine Interpretation, aber hier finden wir bestätigt, dass die anderen beiden im Noldorin/Sindarin existierenden Laute dieser Reihe (/gw/ und /χw/) tatsächlich mit ungwe (gwae) bzw. hwesta (chwae) geschrieben werden. Nasal mutiertes /g/ (z.B. in i-ngweidh "the bonds") wird des weiteren mit nwalme (angwae) geschrieben (<ngw> in z.B. angwedh < ang-wedh wird in der Regel separat geschrieben).
Manchmal (in Gondolin) wird unque (awae-veleg "großes w") für scheinbar leniertes /gw/ verwendet - so als käme z.B. i'waedh von i-ȝwaedh, wobei tatsächlich einfach historisches i-w... unverändert fortbesteht.
Das Szenario sieht allerdings noch eine gewisse Beeinflussung durch Ilkorin und Danian vor, sodass quesse (cú) für entlehntes /kw/ steht, was als /ku/ übernommen wurde (Ilk. cwên > N. cuén). Aus dem gleichen Grund kann etwa auch /gw/ für silbisches /gu/ verwendet werden (daher die Namen gwae und ), sowie /ŋgw/ für silbisches /ŋgu/. Ob all dies im Sindarin noch Bestand hat ist allerdings natürlich fraglich, da hier die einzige Quelle für /kw/ Quenya bleibt.

Des weiteren stand anka historisch ganz offensichtlich für leniertes /g/ (sprich: /ȝ/), daher der Name aghau. Als dieser Laut jedoch verschwand, änderte sich auch der Name aȝau > a'au > au, und das Zeichen wurde dann vereinzelt für den Diphthong /au/ verwendet, und au-veleg ("großes au") genannt - im Gegensatz zum herkömmlichen Zeichen dafür (osse mit w-Tehta) was schlicht au hieß.

Für mich außerdem fast am interessantesten:
Tatsächlich stehen númen, malta, noldo für die ursprünglichen Kombinationen nd, mb, ŋg, und werden daher in Wörtern wie z.B. "Gondolin" verwendet! Die uns bekannte Verwendung als lange Nasale kommt also nur daher, dass nd, mb sich zu n(n), m(m) veränderten. Das deckt sich mit den Moria-Inschrift-Entwürfen, die noch i-ndíw haben (statt "i-thíw"), was in der Tat mit ando geschrieben wird.
Als Beispiele gibt Tolkien i-nnýr ("the lands") und i-m(m)eir ("the homes"), und auch Namen wie Grond, Angband, Beleriand, Gondolin werden erwähnt (aber nicht transkribiert).
Später wurden aber in der Tat auch lange Nasale aus anderen Quellen so geschrieben, während nd, mb aus anderen Quellen (z.B. Anduin < and-duin [mein Beispiel]) eben wie gehabt ausgeschrieben (oder mit Tilde markiert) werden.


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SONDERBUCHSTABEN
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arau/aro, rhau, alau/alo, lhau für rómen, arda, lambe, alda, was leider einen der wenigen phonologischen Unterschiede zwischen Noldorin und Sindarin aufzeigt: Nämlich, dass initiales r-, l- immer stimmlos wurde. Anfangs hat man wohl die stimmhaften und stimmlosen Formen in der Schrift nicht unterschieden, dann wirklich mit /r/+/h/ bzw. /l/+/h/ ausgeschrieben, und schließlich die nicht mehr benötigten Sonderbuchstaben umfunktioniert.
Silme und esse heißen sau, essau/esso, während hyarmen den Namen hau trägt. Hwesta sindarinwa wird hwae oder chwae Gondolidhren genannt, da /hw/ vor allem im Dialekt von Gondolin existierte, nicht im Standard-N. Für Sindarin empfehle ich daher schlicht die Unterscheidung zwischen hwae und chwae (*achwae).
Esse nuquerna gibt es nicht, und silme nuquerna, yanta, úre finden wir natürlich bei den Vokalen. Ferner gibt es noch den gas-dil (halla) und den langen Träger iau (was keineswegs heißt, dass dieser nur für konsonantisches i verwendet würde).

Wir finden des weiteren auch Tengwar mit Ober- und Unterlänge, mit einem Lúva. Diese stehen für /st/, /sp/, /sk/ /sku/ (bzw. initial für /est/, /esp/, /esk/ /esku/) und heißen:
estau/esto, espui, esci, escu. Tolkien merkt jedoch an, dass diese später in der Regel mit zwei einzelnen Buchstaben ausgeschrieben worden sind - teils schrieb man statt <sp> und <sc> jedoch auch <sb> und <sg> - in Tengwar, wie auch in der Transkription.


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TEHTAR
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sind durchweg beschreibender Natur:
So heißen die Zeichen für folgendes i, w, e und für Nasalierung schlicht í orthannen, awae orthannen, edew orthannen, nau orthannen (also "erhöhtes i, w, e, n").
Nach seiner Form wird í orthannen aber auch schlicht peg dadol("doppelter Punkt") genannt. Der selten auftauchende einfache Punkt heißt folgerichtig peg eriol ("einzelner Punkt").
Bleiben noch Zeichen für Vokallänge (kannten wir als andaith, hier mit älteren Phonologie andeith oder teith) bzw. die vereinzelt in alten Quellen auftauchende Vokalkürze thinnas ("Kürze") - ein untergesetztes Komma-förmiges Zeichen.


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VOKALBUCHSTABEN
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Auch sehr einfach: Die alten Vokalbuchstaben für /i/ und /u/ (also kurzer Träger und úre) heißen schlicht í und ú, die restlichen sind nach ihrem Lautwert z.B. "a-Zeichen", etc. benannt - also:
adew, edew, í, odew, ú, ydew für osse, yanta, kurzer Träger, anna, úre, silme nuquerna.
Der lange Träger wurde bevorzugt am Wortende, als Artikel, und als finales Element von Diphthongen benutzt (wenn man diese ausschrieb).
Ursprünglich wurde ein einzelner Punkt über <a>, <o>, <u> verwendet, um Umlaut /æ/, /œ/, /y/ anzuzeigen, teils auch zwei Punkte. Doch /æ/ wurde schon sehr bald garnicht mehr von /e/ unterschieden, /œ/ wurde eher mit einem unten angefügten Haken markiert, und /y/ mit dem aus allen anderen Quellen schon bekannten Zeichen (das übrigens immer mit einem völlig geschlossenen Kreis dargestellt wird, und daher vll. garnicht als silme nuquerna identifiziert werden sollte, sondern als úre mit einer ähnlichen Markierung wie gerade für /œ/ beschrieben.
Die gewöhnlichen Diphthonge wurden in der Regel mit den beschriebenen Tehtar für /i/, /w/, /e/ gebildet. Nur finales /au/ soll immer ausgeschrieben werden (mit wilya/awae), und in der Transkription als <aw> erscheinen. Ebenso die viel späteren Diphthonge /ew/, /iw/.

Was aber niemand ahnte:
Sindarin kennt auch lange Diphthonge! Vokal + vokalisierter Konsonant (z.B. von /ȝ/); lange Vokale + i; oder auch au < ǭ - alle bringen lange Diphthonge hervor, die prinzipiell nur ausgeschrieben werden. Spätere Längungen in einsilbigen Wörtern erstrecken sich auch auf Wörter mit Diphthong, sodass nicht nur Sg. bar > bâr wird, sondern auch Pl. beir > bēir. Dies wurde in der Schreibung nicht festgehalten.


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BESONDERHEITEN IN DER ANWENDUNG
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Für langes lh im Wortinnern (ein Konzept, dass Tolkien in spätem Sindarin wieder aufgriff) schreibt man meist <lth> (lambe-súle, bzw. alo-thau), auch dort es es nicht von /lt/ sondern von /ls/ kommt.

Mutierte Worte wurden oft mit einem einzelnen Punkt markiert, der auf den Konsonanten gesetzt werden konnte (Aran Ċhithlum), oder besonders auch nach dem Artikel in Zeilenmitte stand - wie oft in der Transkription.

<mh> kennen wir schon aus den Moria-Entwürfen als malta/mui mit angesetztem Haken. Stattdessen kann aber auch ein Punkt in den Lúva gesetzt werden. Tolkien merkt an, dass man diesen Buchstaben auch noch lange benutzte, nachdem man ihn bereits /v/ sprach - einfach als graphische Repräsentation dessen, dass wir leniertes /m/ vor uns haben, nicht leniertes /b/.

Re: Beleriandische Tengwar (PE22)

Posted: Mon Sep 07 2015 18:13
by mach
Hej – immer wieder schön, von dir zu hören!
Lothenon wrote:Kurz gesagt: Es handelt sich hierbei meines Erachtens um nichts weiteres als den "Beleriand Mode" des Sindarin, wie wir ihn aus späteren Quellen kennen - nur weit detaillierter und all unsere Wissenslücken füllend. Wenige Aspekte erscheinen auf den ersten Blick anders, decken sich aber bei näherer Betrachtung doch durchaus mit dem bisherigen Wissensstand.
Ganz meine Meinung. Ich nehme an, Tolkien hat den Modus von Beleriand nachher nicht weiter überarbeitet und sich bei der Verfassung von Anhang E auf ebendiese Dokumente gestützt, die wir nun in PE 22 vorliegen haben. Beim klassischen Quenya-Modus könnte es sich hingegen anders verhalten. Da stimmt jedenfalls die spätere Schreibung der Diphthonge nicht mit dem Material aus PE 22 überein. Aber das gehört ja eigentlich in den anderen Thread.

Mir ist ein Detail aufgefallen, wo sich die Beschreibung des beleriandischen Modus aus PE 22 nicht mit dem späteren Sindarin-Konzeption verträgt. Die Verwendung von anna für O wird auf den “Feanorian or Noldorin use” zurückgeführt (S. 15). Mit der Sindarin-Konzeption hat es einen solchen aber gar nie gegeben. Könnte es sein, dass die Entwicklung [ȝā] → [ā] → [ō] vielleicht auch bei den Teleri von Alqualonde stattgefunden haben könnte? Ich weiss nicht genügend bescheid über deren Sprache. Oder gibt es noch andere Möglichkeiten?